Die Schweiz schliesst ihre Augen

  • 2. November 2020
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Die Schweiz schaut über den Rechtsextremismus weg. (Illustration: Ananda Schmidt)

Im Interview mit «element @__investigate__» nehmen Céline und Ananda den Rechtsextremismus in der Schweiz genau unter die Lupe und gehen der Frage nach, ob rechtsextremen Gruppierungen genügend Grenzen gesetzt werden.

Über Rechtsextremismus in der Schweiz mit zwei Oppositionen zu sprechen, stellte sich schwieriger als gedacht heraus. Über mehrere Wochen waren wir auf der Suche nach passenden Interviewpartnern zu dieser Thematik. Wir haben den Schweizer Nachrichtendienst des Bundes (NDB), die Kantonspolizei Basel-Stadt, die Stadtpolizei Winterthur, die Fachstelle für Extremismus und Gewaltprävention, SP sowie SVP-Politiker kontaktiert und sind nur auf Interviewabsagen gestossen. Niemand fühlte sich verantwortlich, sich dem Thema zu stellen.

Nichtsdestotrotz, sind wir in letzter Minute auf den Twitter Account des Recherchekollektiv «element @__investigate__» gestossen, welche sich intensiv mit den Themen Rechtsextremismus, völkische Esoterik, Sekten, Anthroposophie, Reichsbürger, Staatsverweigerer und Antisemitismus auseinandersetzen.

«element @__investigate__» recherchieren grösstenteils aus eigenem Antrieb über Themen, die ihnen wichtig erscheinen. Zudem führen sie auch Rechercheaufträge für Medien und wissenschaftliche Institutionen durch. Ihre Recherchen, beziehungsweise ihre Artikel werden international auf etlichen Plattformen veröffentlicht. Zur Sicherheit aller Mitarbeiter wird dabei Anonymität gewährleistet.

Im Interview mit einem Mitglied des Recherchekollektivs sprechen wir über die Problematik des Rechtsextremismus in der Schweiz und darüber, wie mit der Grenzsetzung umgegangen wird.

Spinger Schuhe und Eisenketten
Ein Interview mit «element @__investigate__» zum Thema Rechtsextremismus.

Wie stufst du als Beobachter der Szene die momentane Lage des Rechtsextremismus in der Schweiz ein? Gibt überhaupt etwas zu berichten?

Oh ja, es gibt sogar jede Menge zu berichten. Es gibt etliche schweizerische Rechtsextremisten, die auch enge Kontakte nach Deutschland haben. Zum Beispiel gibt es den Mathias Melchner, ein Deutscher der in der Schweiz lebte. Er ist einer der Organisatoren vom «Rocktoberfest», das Nazi-Konzert vom Oktober 2017, von dem die Schweizer Behörden vorher wussten und das Festival trotzdem zugelassen haben. Melchner lebt mittlerweile wieder in Deutschland, hier in der Schweiz hortete er Waffen und mehrere tausend Schuss Munition. Es gab kürzlich einen Prozess und Melchner wurde vom Bezirksgericht Hinwil nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Werden deiner Meinung nach rechtsextremen Gruppierungen genügend Grenzen gesetzt?

Nein, überhaupt nicht. Das Problem ist ja, dass man sich in der Schweiz auf den Standpunkt stellt, dass alles erlaubt ist, solange es keine Gewaltaufrufe gibt. Oder am besten sogar erst, wenn irgendwas passiert. Man lässt diesen Gruppierungen, diesen Ideologien völlig freie Hand und wartet letztendlich darauf, bis irgendjemand zu Schaden kommt.

Wer ist alles verantwortlich Rechtsextremismus in der Schweiz zu überwachen?

Der NDB, also der Nachrichtendienst des Bundes und natürlich auch die Kantonspolizei der verschiedenen Kantone.

Combat 18 ist  eine internationale Neo-Nazi Gruppierung die in Deutschland verboten ist. Könnte die Schweiz Combat 18 auch verbieten? Wieso ist sie noch nicht verboten?

Ich denke mal, das würde schon gehen. Man tut es aber nicht. Es gibt ja zum Beispiel auch gegen Deutsche Neo-Nazis durchaus Einreiseverbote, und trotzdem hat man die in der Vergangenheit einreisen lassen. Solche Einreiseverbote nicht durchzusetzen finde ich sehr bedenklich, der Staat zeigt eine Nachlässigkeit, die sich bei der momentanen Entwicklung rächen könnte.

Kannst du diese Haltung erklären?

Das hat geschichtliche Ursprünge. Es ist so, dass die Schweiz gerne dieses Narrativ aufrechterhält, dass sich die Schweiz so heldenhaft gegen das Dritte Reich gewehrt hätte. Das ist vollkommener Unsinn. Die Schweiz hatte ganz enge, wirtschaftliche Beziehungen mit dem Dritten Reich, das wurde sehr gut in Hans Ulrich Josts Buch Politik und Wirtschaft im Krieg: Die Schweiz 1938–1948 dokumentiert. Und man muss ganz klar sagen, dass die Schweiz aktiv am Holocaust mitgewirkt hat. Man möchte aber dieses historische Lügenmärchen aufrechterhalten, dass die Schweiz ein Ort in Frieden und Freiheit war während des Zweiten Weltkriegs. Dabei haben selbstverständlich wirtschaftliche Interessen dominiert. Wahrscheinlich hat man sich, um nicht a dieser geschichtlich unrealistischen Darstellung zu rütteln, dazu entschieden, das Thema Rechtsextremismus als ein rein deutsches Thema darzustellen, das es in der Schweiz nicht gibt.

Riskiert die Schweiz ein Rückzugsort für rechtsextreme Gruppen zu werden?

Definitiv! Die Schweiz ist natürlich interessant, weil es eben diese Verbote nicht gibt. Man kann ja auch das Hakenkreuz zeigen oder sich mit dem Hitlergruss begrüssen. Es wird in der Schweiz definitiv nichts gegen Rechtsextremismus gemacht und es gibt keinerlei Einschränkungen.

Muss eine Sensibilisierung in diesem Themengebiet stattfinden?

Das muss man definitiv, das fängt ja schon bei dem in der Schweiz weit verbreiteten Alltagsrassismus an. Man kann jede Art von rassistischen Äusserungen gegen «Jugos» und Deutsche relativ frei kommunizieren.

Wie kann man deiner Meinung nach präventiv gegen Rechsextremisus vorgehen?

Ein Anfang wäre natürlich, dass sich die Medien mal mehr mit dem Thema beschäftigen. Es wäre durchaus wichtig, dass die Untätigkeit der Behörden angeprangert wird.

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