Céline und Anandas Weckruf

  • 2. November 2020
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Kaputte Eisenteile
Wie Céline und Ananda mit Rechtsextremismus konfrontiert wurden und was sie daraus mitnehmen (Foto: Joshua Amissah)

Wie kommt man auf die Idee zu Rechtsextremismus in der Schweiz zu recherchieren? Céline schreibt über ihren Anstoss sich mit diesem Thema zu befassen. Ananda schreibt über ihre neuen Erkenntnisse.

Reality Check im Urlaub

Ich bin eine weisse Frau in einem weissen Land. Zu meinen Privilegien gehört es, im Alltag Rassismus nicht an meinem eigenen Leib  zu erfahren. Deshalb zähle ich es zu einer meiner Aufgaben, aufmerksam zu sein, und Ungerechtigkeiten in dieser Gesellschaft zu erkennen. Diese Geschichte handelt von einer Situation, in der mir einmal mehr bewusst wurde, dass ich genauer hinschauen muss.

Im Spätsommer 2019 verbrachte ich ein paar Tage im deutschen Bundesland Hessen. Um genauer zu sein war ich in Frankfurt, Offenbach, Hanau und den umliegenden Dörfer unterwegs. Meine Begleitung und ich fuhren mit unseren Fahrrädern den Main hinab, von Hanau weg Richtung Bayern. Die Strecke ist genauso trist wie sie schön ist: viel Grün, verlassene Dörfer, ein Kraftwerk und ein paar Schafe. Unsere Tour führte uns nach Seligenstadt. Der Hessische Rundfunk beschreibt das alte Städtchen in einem Artikel passend als «eine Stadt wie viele in Hessen: rund 20.000 Einwohner, hübsche Fachwerkfassaden, ein schmucker Marktplatz.»

Zuerst kam die Polizei

Zur Stärkung kehrten wir in einem Gasthof am Marktplatz ein. Wir führten Gespräche mit unseren Tischnachbarn. Sie wohnen schon seit eh und je in Seligenstadt.

Die Idylle wurde um ca. 15 Uhr von mehreren Polizeiautos unterbrochen. Sie parkten auf dem bis dahin friedlichen Marktplatz, wenige Meter von unserem Tisch entfernt. Die grosse Polizeipräsenz irritierte mich. Was wollen die hier?

Aus links wird rechts, aus rechts wird links

Nach und nach füllte sich der Marktplatz. Er wurde durch zwei Parteien geteilt. Zu unserer Linken reisten zwei, drei Personen mit dicken Motorrädern an. Andere gesellten sich zu Fuss zur Gruppe hinzu. Eine Komponente hatten sie alle gemeinsam: Sie waren überwiegend schwarz gekleidet. Jemand liess aus scheppernden Boxen Rock laufen, ich konnte die Texte der Lieder nicht verstehen.

Zu unserer Rechten stellten sich Menschen in einem Kreis auf. Sie trugen farbige Kleider, einige hielten Sonnenblumen in ihren Händen. Auf einigen Plakaten konnte ich die Worte «Seebrücke Seligenstadt» entziffern.

In unserer Verwirrung wendeten wir uns an unsere Tischnachbarn, die trocken «Die wollen Flüchtlinge hierherholen!» zur Antwort gaben.

Die Seifenblase platzt

Langsam erschloss sich mir die Gesamtsituation. Und es sind keine Umstände, die im Sommer 2019 komplett neu waren: Die «Seebrücke Seligenstadt» haltet seit 2018 regelmässige Mahnwachen, in denen sie an die Menschen erinnern, die während ihrer Flucht über das Mittelmeer in Seenot geraten oder ertrunken sind. Die andere Seite hatte offensichtlich etwas gegen diese Mahnwache und gab das unter anderem mit Bannern, auf denen «Keine Flüchtlinge in Seligenstadt» zu lesen war, zu verstehen.

Ich fühlte mich unwohl. Unwohl damit, dass ich nicht wusste, wie ich mit der Situation umgehen soll. Denn ich fürchtete mich vor den Gegendemonstranten, verachte bis heute ihre Haltung zur Flüchtlingspolitik. Mir steht es nicht zu, nach über einem Jahr diese rechten Demonstranten als Neo-Nazis zu bezeichnen, aber in dem Moment habe ich sie als solche verurteilt. So sehr, dass ich dieser Situation aus Angst so schnell wie möglich entkommen wollte. Wir zahlten, verliessen den Marktplatz, stiegen auf unsere Fahrräder und fuhren fort.

Im Nachhinein kotz mich mein Verhalten an

Wenn man die Geschehnisse nüchtern betrachtet, war es nichts Schlimmes. Zwei oppositionelle politische Meinungen trafen gewaltlos aufeinander. Beide Seiten haben das Recht, ihren Standpunkt kundzugeben. Die freie Meinungsäusserung gehört zu den Prinzipien einer Demokratie. Was mich in dem Moment so verstörte, war der Fakt, dass ich nicht vorbereitet war. Ich bin von der Situation geflüchtet, weil ich zu feige war, mich mit der Situation auseinanderzusetzen. Und so privilegiert, dass ich so einfach von der Situation weglaufen konnte.

Gibt es «das» in der Schweiz auch?

Der Vorfall hat mich erschüttert. Bis dahin habe ich in einer Bubble gelebt, in der mir bewusst war, dass Rechtsextremismus noch existiert. Doch mein Umfeld hat mich nie in Berührung mit extrem rechten Ansichten gebracht. Auf meiner Fahrt nach Hause in die Schweiz konnte ich mich nicht aufhören zu fragen, wie sich wohl Rechtsextremismus in meiner Heimat organisiert.

So habe ich diesen Kurs als Anlass genommen, mich mit dem Rechtsextremismus in der Schweiz zu befassen. Und es war nicht einfach. Die Angst war während der Recherche und dem Verfassen meiner Texte immer präsent. Angst, etwas falsch zu machen, Angst um mich oder mir eng stehende Personen oder auch die Angst davor, nicht genügend seriös zu berichten.

Text von Céline Gloor.

Der schmale Grat zwischen Meinungsfreiheit  und Hassreden

Ein Jahr lang hat Ananda sich mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandergesetzt. Ihr Fazit: Es braucht klare Grenzen.

Ich stehe in der Küche und bereite mir einen Snack vor. Von weitem höre ich aus den TV-Lautsprechern, wie Trump in der ersten TV-Debatte der Präsidentschaftswahlen sich weigert, gegen «White Supremacy» und rechtsextremen Gruppierungen auszusagen.

«Proud Boys, stand back and stand by, but I’ll tell you what, I’ll tell you what, somebody’s got to do something about Antifa and the left, because this is not a right-wing problem.»

washingtonpost.com/nation/2020/09/30/proudboys1001/

Das sind seine Worte und sie machen mich fassungslos.

«Proud Boys» ist eine vom FBI extremistisch eingestufte Gruppe, die sich hauptsächlich gegen Feminismus, den Islam und die «Black-Lives-Matter» Bewegung positioniert. Deren Gründer, Gavin McInnes, ist vermehrt wegen Hassreden und Aufrufen zur Gewalt medial aufgefallen.

Trumps Äusserung hat für Erfolgsgefühle in den Kreisen der «Proud Boys» Gruppe gesorgt. Sympathisanten äusserten sich auf privaten, wie auch öffentlichen Social-Media-Kanälen mit stolzen Kommentaren und fühlten sich gehört von Trump.

Seit der Wahl von Trump zum US Präsidenten verspüre ich einen massiven Rechtsrutsch in meiner Umgebung. Damit meine ich, dass ich seither beobachtet habe, dass sich rechtsextreme Gruppierungen vermehrt in der Öffentlichkeit zeigen und aggressiver gegenüber ethnischen Minoritäten vorgehen. Die Wahlplakate der SVP machen die ganze Situation in der Schweiz nicht einfacher und verleihen mir, einer Schwarzen Frau mit Migrationshintergrund, keinesfalls ein Gefühl von Heimat und Akzeptanz.

Dabei stellte ich mir die Frage, ob rechtsextremen Gruppierungen in der Schweiz genügend Grenzen gesetzt werden. Meine Antwort dazu lautet klar und deutlich, nein. In dieser Deutlichkeit kann ich das sagen, weil ich mich im letzten halben Jahr intensiv mit der rechtsextremen Szene der Schweiz auseinandergesetzt habe. 

Während meiner Recherche auf etlichen, rechten Facebook-Seiten, Antifa Websites, persönlichen Gesprächen und Berichten, bin ich immer wieder auf den «NDB» (Nachrichten Dienst des Bundes) gestossen.

Der Nachrichtendienst des Bundes fühlt sich nicht verantwortlich

Die Aufgabe des «NDB» ist es, sich «mit der Früherkennung und Bekämpfung von Terrorismus, gewalttätigem Extremismus, Spionage, der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und deren Trägertechnologie sowie Cyberangriffen auf kritische Infrastrukturen» zu befassen, gemäss der Webseite der «NDB». In einfacheren Worten: sie sind zuständig für die Sicherheit der Schweizerbevölkerung und können Extremisten Grenzen setzen.

Gemeinsam mit Céline, mit der ich dieses Thema erarbeitet habe, haben wir per Mail versucht, mit dem NDB Kontakt aufzunehmen, um ein offenes Gespräch über die momentane rechtsextreme Lage und deren Grenzsetzung in der Schweiz zu führen.

Uns wurde mit einer Standardmail geantwortet und auf ihren Lagebericht von 2019 verwiesen. Eine Stellungnahme, oder gar ein Interview zu führen, ist seitens NDB «nicht möglich».

Auch die Kantonspolizei Winterthur und die Fachstelle für Extremismus und Gewaltprävention waren der Meinung, dass sie nicht die «richtigen Gesprächspartner» seien.

Was nun?

Und so scheint mir nach all den Recherchen, dass der Rechtsextremismus in der Schweiz als Ganzes stillschweigend unter den Teppich gewischt und als non existent behandelt wird. Damit präventiv und aktiv etwas gegen solche Gruppierungen unternommen werden könnte, müsste zwingend nachweisbar sein, dass «Gewalt Bezüge (d.h. das Verüben und Fördern von oder der Aufruf zu Gewalt) vorgefallen seien». Das bedeutet aber auch, dass Personen, die sich politisch radikalisieren, freie Bahn haben und die Schweiz somit europaweit ein «sicherer Hafen» für Rechtsextreme wird, solange sie nicht zur Gewalt aufrufen oder diese gar ausüben.

Mann Sitzt auf schmutzigem Teppich
Die Schweiz ist ein Unterschlupf für Rechtsextreme. (Illustration: Ananda Schmidt)

Es erlaubt ihnen, sich in gesetzlichen Grauzonen zu bewegen und ungeschoren davon zu kommen.

Ehrlich gesagt macht mir das Angst und ich schäme mich dafür, dass unser Land diesem Thema so wenig Aufmerksamkeit schenkt und generell so lange wartet, bis etwas Schwerwiegendes passiert.

Frau zieht an Eisenkette
Wird zu wenig gegen Rechtsextremismus unternommen? (Illustration: Ananda Schmidt)

Ich fühle mich diesen Gruppierungen ausgeliefert, als hätte man mir eine lange Eisenkette um die Handgelenke gebunden. Ab einer gewissen Distanz spannt sich die Eisenkette und ich kann mich nicht bewegen. Sollte ich mich aber aus Eigeninitiative wehren wollen, würde ich immer wieder auf Wände knallen, die mir den Weg zur Rechenschaft versperren. Das alles nur, weil es auf diesem Themengebiet keine klare Trennlinie zwischen Meinungsfreiheit und Hassreden gibt.

Text von Ananda Schmidt.

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