Gesundheit ist das A und O eines zufriedenen Lebens. Manchmal wird die Gesundheit unterschätzt, aber ist sie einmal weg, ist Genesung eine hohe, wenn nicht die höchste Priorität. Oscar Wilde nannte sie die erste Pflicht im Leben und auch Buddha sagte, dass die Gesundheit das grösste Geschenk ist. Dieser Artikel befasst sich mit sexuell übertragbaren Krankheiten, deren Prävention und der Frage nach Verantwortung.
Wenn man sich während den 1980ger mit dem Hi-Virus (HIV) angesteckt hat, war das oft ein Todesurteil. Laut Pharma Fakten kam das erste Medikament, mit welchem HIV kontrollierbar wurde, 1996 auf den Markt. Gemäss der globalen HIV und Aids Statistik forderte die Pandemie im Jahr 2019 trotzdem noch 690’000 Leben ein. Heute gibt es verschiedene Medikamente, die zwar täglich eingenommen werden müssen, den infizierten Menschen aber zu einem normalen, geregelten Alltag verhelfen.
Nach den Statistiken des Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist die Anzahl der Ansteckungen von 1985 bis 2019 (aktueller Stand) in der Schweiz gesunken. 2019 gab es 421 neue HIV-Diagnosen, 2018 waren es 425. Gleichzeitig zeigt das BAG andere Statistiken, die weitaus beunruhigender sind.
Die anderen fordern ihren Tribut
Syphilis, Gonorrhö (Tripper) und Chlamydien sind auf dem Vormarsch. Die drei sexuell übertragbaren Infektionen, kurz STI (sexually transmitted infections) mit fiesen Symptomen sind alles bakterielle Krankheiten und somit durch Antibiotikum heilbar. Was aber weniger bekannt ist, sind eventuelle bleibende Schäden, wie zum Beispiel Unfruchtbarkeit bei Gonorrhö und Chlamydien, sowie Erblindung und Herzentzündungen bei Chlamydien.
Eine grosse Frage bleibt: Warum gehen die HIV-Ansteckungen zurück, aber andere STI breiten sich aus?
Dr. med. Asmaa Haefliger-Mohamad Aly, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe aus Basel, sagt, dass die Leute nicht vorsichtig genug sind. Sie haben schon in frühen Jahren Sex, haben mehrere Partner*innen und wechseln diese häufig. Alle Seiten sind dabei nicht vorsichtig genug. Je jünger die Person ist, desto naiver handelt sie meistens. Es wird schnell geglaubt, dass die andere Person nichts hat. Vieles wird erst getestet, wenn Symptome auftreten, aber Symptome sind nicht immer von Anfang an da – was wiederum zur Weiterverbreitung führt.
Weiter sagt Dr. Haefliger: «Eine Person kann zum Beispiel Herpes Genitalis durch Geschlechtsverkehr, aber auch durch oralen Sex durch Herpes Labialis bekommen. Die mit Herpes infizierten Personen können manchmal jahrelang nichts von ihrer Infektion wissen. Herpes bleibt ein Leben lang im Körper, ist sehr schmerzhaft und kann immer wieder ausbrechen. Man kann durch oralen Sex viel bekommen, dass man nicht weiss.»
Und nicht nur durch Sex (oral, vaginal oder anal), sondern auch ganz einfach durchs Küssen. Im schlimmsten Fall reicht schon ein intensiver Kuss, um Krankheiten wie Syphilis und Gonorrhö zu übertragen, den Mund zu Mund bedeutet Schleimhaut-Übertragung.
Warum ist so ein wichtiger Fakt nicht bekannt, besonders wenn eine Ansteckung mit schweren Folgen zu und hergehen kann? Wer wäre dafür verantwortlich, dass wir diese Fakten kennen?
Alle neuen Patientinnen werden von Dr. Haefliger nochmals gründlich aufklärt. Sie bespricht allfällige Fragen und warnt sie vor den Krankheiten. Manchmal sei es dann aber schon zu spät. «Aufklärung muss Zuhause und in der Schule spätestens rund um das 13. Lebensjahr geschehen», findet sie.
Aufklärung ist immer noch ein Tabuthema, aber wichtiger denn je, denn Sex ist freier denn je. Ausserdem werden Kinder und junge Erwachsene früh mit sexuellen Inhalten aus dem Internet konfrontiert.
Ist der Lehrplan zu ungenau?
Während des Aufklärungsunterrichtes wird Verhütung, das HI-Virus und Aids aufgegriffen, erzählt Myriam Eberle, Primarlehrerin einer 4. Klasse in Baselland. Weitere sexuell übertragbare Krankheiten werden kaum bis nicht thematisiert. Nachdem wir Myriam Eberle die BAG-Statistiken gezeigt haben, war ihr klar, die Aufklärung sollte sich nicht nur um HIV drehen: «Gerade, wenn eine Übertragung auch über das Küssen stattfinden kann, weil das fängt schon früh an», schmunzelt Eberle.
«Im Unterricht gibt es Unterlagen zum Thema und an einem Tag kommt die Aids-Hilfe Basel und spricht getrennt mit den Mädchen und Jungen. Primär geht es dabei um HIV.» Da die meisten Lehrpersonen bei den Treffen nicht dabei seien, wisse sie aber nicht detailliert, wie darüber gesprochen wird.
Die Aids Hilfe im Unterricht
Was bespricht die Aids Hilfe beider Basel (AHbB) mit den Kindern und den jungen Erwachsenen in diesen Workshops?
Cécile Notter, Leiterin der Bildung- und Informationsstelle der AHbB, antwortet, dass sie mit den Kindern (6. Primar) nur die Fragen, die sie zum Thema Sexualität haben, klären. Kinder müssen einfach wissen, dass es Krankheiten gibt, die man durch ungeschützten Sex bekommen kann.
Das sagt die AHbB nur, wenn die Kinder dazu eine Frage formulieren wie etwa: «Kann man durch Sex krank werden?»
In der 7. bis zur 9. Sekundarklasse informiert sie die Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen über HIV, Humane Papillomaviren (HPV) und Chlamydien.. HIV sei wichtig, da die Krankheit unheilbar ist. HPV werde vorgestellt, weil in diesem Alter die präventive Impfung empfohlen wird. Chlamydien werde wegen den hohen statistischen Zahlen in diesem Alter (15 – 24 Jahre) thematisiert. Wichtig bei der Aufklärung über Chlamydien sind die Übertragungswege, Frau Notter erklärt: «Chlamydien können beim ungeschützten Sex, aber natürlich auch bei Petting übertragen werden. Es ist leichter übertragbar als HIV.»
Syphilis und Gonorrhö werden in den Kursen aus Zeitgründen nicht erwähnt. Als Begründung sagt Notter, dass sie diese Zeit für Fragen der jungen Menschen offen halten möchte.
Küssen als Übertragungsweg werde auch nicht angesprochen, weil er bei HIV ausgeschlossen, bei HPV und Chlamydien sehr unwahrscheinlich sei.
«Nein, das sagen wir sicher nicht, denn das Risiko ist recht klein und wir wollen auch nicht den totalen sexuellen Ablöscher haben. Es ist schon so schwierig genug den Kindern die drei beizubringen, ohne dass sie die Neugier und die Lust des Ausprobierens verlieren. Wir wollen nicht, dass sie am Schluss Angst haben und steril herumlaufen», so Notter. Zuvorderst steht für sie, dass die Kinder Symptome erkennen und wissen, was zu tun ist.
Wo ist die Grenze zwischen Aufklärung als Muss und Angstmacherei? Im Aufklärungsunterricht werden unterschiedliche Krankheiten erwähnt, aber nicht alle. Syphilis und Gonorrhö werden nicht erwähnt. Es werden Übertragungswege erwähnt, aber nicht alle. Dass Küssen ein Übertragungsweg ist, wird nicht erwähnt. Muss bei grosser sexueller Freiheit nicht auch grosszügig sexuell aufgeklärt werden?
Was muss sich ändern?
Gewisse Kinder, Tendenz steigend, sind schon in der 4. Klasse, das heisst mit circa zehn Jahren, in den sozialen Medien unterwegs und kommen dementsprechend schon früh mit sexuellen Inhalten in Kontakt. Deshalb findet Myriam Eberle, dass die sexuelle Aufklärung schon in der 5. statt in der 6. Klasse stattfinden sollte.
Auch Dr. Asmaa Haefliger ist der Meinung, dass die Kinder umfänglich über Sex und sexuell übertragbare Krankheiten Bescheid wissen müssen. «Sonst bekommen sie es von anderen Kolleg*innen mit. Das ist nicht professionell und kann falsche Informationen beinhalten.» Nur HIV-Aufklärpflicht und Verhütungsmethoden beim Thema Sex findet Haefliger nicht ausreichend.
Was ist nachhaltige Aufklärung?
Im Video-Interview für die [vierseitig] Kategorie Nah erzählte die jüngste Gruppe bestehend aus Nele und Biravin, dass sie sich Informationen auch über das Internet beschaffen, zum Beispiel von Serien, die sich um diese Thematik drehen.
Ist diese Art von Aufklärung nachhaltig und reicht sie?
In ihrer Praxis sieht Dr. Haefliger, dass nicht jede Patientin gleich klar aufgeklärt ist und kennt die Auswirkungen davon. Sie weiss, dass sie eher zu der konservativen Seite gehört und hat ihren Standpunkt:
«Man sollte den Kindern alles erklären und sich nicht nur auf HIV beschränken. Ganz klar sein. All cards on the table. Kondom und Pille schützt beides nicht vor sexuell übertragbaren Krankheiten und auch nicht zu 100% vor einer Schwangerschaft. Und dass das Kondom trotzdem das A und O ist, wenn man Sex hat. Dass man mit dem Sex warten sollte, weil es Konsequenzen hat, nicht nur physische, sondern auch psychische. Zum Beispiel, wenn jemand mit jemandem schläft und dann einfach geht. Es ist dann viel schlimmer, als wenn man einfach jemanden kennengelernt hat und es nicht funktioniert hat. Oraler, vaginaler, analer Sex, alle Krankheiten, alles muss erklärt und die Konsequenzen aufgezeigt werden.»
Zusammengefasst und in Anbetracht der Statistiken ist eine ehrliche, respektvolle und offene Aufklärung wichtig. Wer diese Rolle voll und umfänglich übernimmt, steht zu diesem Zeitpunkt noch offen.
*In der [vierseitig] Kategorie Extrem erzählen wir, warum wir dazu keine Aussage vom Erziehungsdepartement und der Pädagogischen Hochschule haben.