Pädo-Terror im Netz: Kids berichten

  • 16. November 2020
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An einem Workshop erlernen die jungen Teenager Medienkompetenz. (Foto: Michel Kessler)

Womit müssen sich Kinder und Jugendliche heute auf Social Media rumschlagen? Und wie gross ist ihre Affinität gegenüber den Gefahren im Netz? Wir dürfen an einem Medien-Workshop teilnehmen und einen Eindruck vom Medienbewusstsein der 7. Klässler*innen in einer Audio-Reportage festhalten.

Dass der Mann, der das Kind arglistig mit Süssigkeiten ins Auto locken will, längst nicht mehr die einzige Konfrontation ist, welche Kinder mit Pädophilen haben, wissen wir. 

Durch das Internet und speziell die sozialen Medien ergibt sich ein riesiger Graubereich, der zum gigantischen Spielplatz für Menschen mit bösartigen Absichten geworden ist. Welchen Gefahren sind sich die jungen Teenager von heute bewusst? Und wie zeichnet sich das in ihrem Medienverhalten ab?

Lorena und Michel aus der [vierseitig]-Redaktion begleiten an einem Montagnachmittag 46 Kinder bei einem Medien-Workshop in einer Gemeinde im Kanton Basel-Land. 

Back to School

Zeichnungen in den Gängen, kuschelige Sitzecken und Bücherregale: Seit Jahren haben wir kein klassisches Schulhaus mehr betreten. Wie klein ein Klassenzimmer ist, haben wir schon fast vergessen. Der Geruch von altem Holz und Papier in den Räumen erinnert uns aber noch gut an unsere eigene Schulzeit. 

Seither hat sich aber einiges verändert. Auch wir hatten damals schon erste Berührungen mit der virtuellen Welt. Das Ausmass der Digitalisierung wurde seither jedoch um einiges Grösser. Und damit auch ihre Gefahren.

Dina Jost, freischaffende Medienpädagogin, empfängt uns herzlich und bietet uns einen Kaffee an. Bevor die Mittagspause vorbei ist, setzen wir uns in eine Bankreihe, plaudern mit der Workshop-Leiterin und planen zusammen den Nachmittag. 

«Siii wer isch das?»

Kaum klingelt die Schulglocke, strömen auch schon lauter Geräusche durch den Gang und maskentragende Kinder trudeln im Klassenzimmer ein. Sobald die 7. Klässler*innen die beiden fremden Erwachsenen im Raum entdecken, beobachten sie uns gespannt und betrachten mit grossen Augen die Aufnahmegeräte, die vor uns auf dem Tisch liegen. 

Vor dem Start des Workshops stehen wir vor die Klasse und stellen uns vor. Die Kinder sitzen brav in ihren Reihen, schauen mit grossen Augen zu uns hoch. Auf einmal fühlen wir uns gleich um einige Jahre älter. 

Wir übergeben Dina Jost das Wort. Heute auf dem Stundenplan: Datenschutz. Parallel dazu dürfen wir gleich die ersten Kinder aus dem Unterricht für ein Gruppengespräch in den Gang holen. Wir möchten mit den Schüler*innen über ein anderes Thema sprechen. Wir wollen herausfinden, wie Medienbewusst sie im Bezug auf die Gefahren auf Social Media sind, was in den Köpfen der 11 bis 14-Jährigen vor sich geht und welche Erfahrungen sie bereits gesammelt haben. 

In den jeweiligen Gesichtern erkennen wir: Die Schüler*innen sind gespannt, was jetzt auf sie zukommt und wirken redefreudig. 

Hier findest du die Audioreportage mit den Eindrücken aus dem Gruppengespräch.

Wir möchten darauf hinweisen, dass darin Erzählungen von psychischen und sexuellen Belästigungen an Minderjährigen enthalten sind.

GEN-Z GLOSSAR: Trends und die Jugendsprache ändern sich schnell! Manchmal wird es fast ein wenig schwierig, den Inhalt zu verstehen, wenn man einige dieser Begriffe gar nicht kennt. Wir haben hier kurz zusammengefasst, was einzelne GEN-Zler Slang-Worte überhaupt bedeuten. So kommt es bei der nachfolgenden Audioreportage zu keiner Sprachbarriere:

SNAP-SCORE: Der Snapchat-Score bezieht sich auf die Social Media App «Snapchat» und wird nach einer Gleichung ermittelt, die sich aus den verschickten und erhaltenen Snaps zusammensetzt. Wenn man viele Videos und Bilder in die eigene Story postet lässt dies ebenfalls den Score in die Höhe schießen. Zusätzlich lassen auch undefinierte Faktoren den Snapscore steigen. Dieser ist von Freunden auf der Plattform einsehbar.  

BIT-MOJI: Auch hier handelt es sich um eine Begrifflichkeit, die unter anderem zu Snapchat gehört. Simpel gesagt ist der Bitmoji ein virtuelles Figürchen des Nutzers, ein Avatar. Dieses kann eingekleidet werden und auch Haare, sowie Gesichtsstrukturen können individuell angepasst werden, damit das virtuelle Ich so realitätsnahe wie möglich aussieht.

BOTS: Social Bots sind Softwareroboter bzw. -agenten, die in sozialen Medien vorkommen. Sie liken, teilen, texten und kommentieren, können also natürlichsprachliche Fähigkeiten haben. Sie können auch als Chatbots fungieren und damit mit Benutzern synchron kommunizieren oder diese zu grossen Gruppenchats hinzufügen. Social Bots werden zur Sichtbarmachung und Verstärkung von Aussagen und Meinungen eingesetzt. Dabei können sie werbenden Charakter besitzen bzw. politische Wirkung entfalten.

Unsere Einschätzung:

Es ist erschreckend, dass die ständige Konfrontation mit Gefahren auf Social Media und Anfragen von Personen mit pädophilen Absichten ein konstanter Bestandteil des Medienkonsums der jungen Generation ist. 

In der Audio-Reportage zeigt sich, dass nach den ersten Erschütterungen etwas noch viel einschneidendes hängenbleibt: Ein immenses Bewusstsein für Medien und grosse Vorsicht im Netz. Sie hören Alarmglocken, sorgen sich um Datenschutz und sind willig, in schwierigen Situationen Hilfe anzunehmen. 

Unrechtmässig auf Social Media unterwegs

Für Kinder und Jugendliche gehören soziale Medien schon im frühen Alter zur Normalität. Das zeigen allein die Zahlen der Videoplattform TikTok, bei der die meisten Nutzer laut einer Umfrage von Statista zwischen 12 bis 14 Jahren alt sind.  

Auch die Gespräche mit den 7. Klässlern zeigen auf: Die jungen Teenager bewegen sich weit vor der Altersgrenze auf den Netzwerken. Viele von ihnen sprechen sogar von ersten Berührungen vor dem 10. Lebensjahr. TikTok, Instagram und Facebook erlauben ihren Nutzern den Beitritt laut den eigenen AGBs erst ab 13 Jahren. Dies wird von den Nutzern aber oft ignoriert und die Plattformen können dies nicht explizit kontrollieren.

Eine Umfrage aus dem Klassenzimmer ergibt das auf der Statistik ersichtliche Resultat zur Mediennutzung der 46 Kinder.
(Infografik: Till Minder)

Wer ist Schuld?

Nach dem Workshop zeigt sich: Das Verantwortungsbewusstsein der Schüler*innen ist deutlich höher, als von der Redaktion erwartet. Die Teenager scheinen aufgeklärt. Sei es durch Erfahrung oder gute Begleitung. 

Die Schuldfrage hingegen lässt uns raunen: Dass auf der anderen Seite des Chats eine kriminelle Person ihre Fäden zieht, scheint fast unwichtig zu sein. Die Schüler*innen  machen sich selbst für die Fallen verantwortlich, in die sie tappen. 

Dünnes Eis

Die bedenkliche Schuldfrage lässt darauf schliessen, dass den Teenies bewusst ist, auf welch dünnem Eis sie sich bewegen. Und doch wollen sie sich davon nicht einschränken lassen. Immerhin bietet ihnen die virtuelle Welt noch viel mehr als diese dunkle Seite. 

Statt das Kind von jeglichen Online-Aktivitäten zu isolieren, rät Medienpädagogin Dina Jost, die den Workshop leitet, den Eltern, sich mit der Mediennutzung der Kinder auseinanderzusetzen. «Es ist wichtig, dass erwachsene Personen zuhören. Und das ohne Urteil, ohne Bewertung!», meint sie.

So könne man eine Vertrauensbasis schaffen, die dazu führt, dass die Kinder sich in zwielichtigen Situationen bei ihnen melden. Die Workshop-Leiterin bestätigt: Die Kinder wollen von ihren Erfahrungen im Netz berichten. 

Reale Gefahr oder Mechanismen?

Ein immer wieder aufkommendes Thema in den Gesprächen mit den jungen Teenies sind Bots (Definition in der Box). Die Softwareroboter gelangen durch unerkennbare Algorithmen an die Nutzer und prompt in ihre Direktnachrichten. 

In den Nachrichten befinden sich sexuelle Inhalte. Entweder durch Links oder über Textnachrichten, in denen sich (oftmals Frauen) interessiert zeigen. Hinter den Profilen befindet sich jedoch oftmals keine reale Person. Der Absender ist somit zwar nicht wirklich problematisch, allerdings werden solche Spam-Nachrichten nicht nur an eine Person adressiert. Im Verteiler befinden sich meist dutzende Instagram-Accounts, die dann auch die anderen Profile einsehen können. Somit bildet dies schon einen Kontaktpunkt zwischen Kinder und möglichen Pädophilen. Den Schüler*innen ist dies auch teilweise bewusst. Aber: Sie nerven sich vielmehr darüber, als davon eingeschüchtert oder verführt zu werden. 

Die einzige Angst ist in solchen Fällen, über die zugesendeten Links gehackt zu werden. Genauso wie sie also Werbeanzeigen einfach wegklicken, sind sie es sich gewohnt, die Bot-Nachrichten mit einem Klick zu blockieren. Es gehöre nun einmal dazu. 

Links für Kinder und Eltern

Jugend und Medien
Pro Juventute
Wir Eltern
Opferhilfe Schweiz
Tipps und Meldeformular der Stadt Zürich
Swisscom: Das erste Handy für mein Kind
“Medienkompetenz – Tipps zum sicheren Umgang mit digitalen Medien” von Jugend und Medien in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften

Beratungsplattformen für Kinder

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