Der Jüngste im Parlament

  • 23. November 2020
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Andri Silberschmidt am Rednerpult im Nationalrat
Der ehemalige Parteipräsident der Jungfreisinnigen vertritt die FDP seit 2019 im Nationalrat. (Foto: Parlamentsdienste Bern)

Andri Silberschmidt ist mit 26 Jahren das jüngste Mitglied im Schweizer Parlament. Der FDP-Politiker wurde 2019 in den Nationalrat gewählt. Ein Interview über seine politische Karriere und den Weg zum Nationalrat.

49 Jahre. Das ist der Altersdurchschnitt des Schweizer Nationalrats. Im Vergleich zur letzten Legislaturperiode ist dieser Durchschnitt um ein Jahr gesunken und nun so tief wie zuletzt 1873. Mitverantwortlich dafür sind fünf Nationalräte, welche 2019 in das Parlament gewählt wurden. Alle unter 30 Jahren. Der jüngste von Ihnen ist FDP-Nationalrat und ehemaliger Präsident der Jungfreisinnigen Andri Silberschmidt. In einem Interview mit [vierseitig] erzählt er unter anderem über seinen frühen Einstieg in die Politik und seine Aufgaben als Nationalrat.

Andri, Du bist mit 17 Jahren den Jungfreisinnigen beigetreten. Was hat dazu geführt, dass Du dich bereits so früh so intensiv mit Politik auseinandergesetzt hast?

Ich durfte während meiner Banklehre eine 1. August-Rede halten. Das hat mir so viel Freude bereitet, dass ich gefunden habe, ich will nicht nur einmal im Jahr oder einmal im Leben sagen, wo ich finde, dass die Schweiz hinsollte. Ich wollte mich auch entsprechend engagieren. Die Jungpartei war mein Ventil. Sie hat meine Unternehmenslust gestillt. Es hat mir Freude gemacht, gemeinsam mit anderen Leuten etwas erreichen zu können.

Wieso hast Du dich damals für die Jungfreisinnigen entschieden? Waren da Einflüsse aus deinem Elternhaus im Spiel?

Nein. Bei mir zu Hause war niemand politisch aktiv. Ich bin also nicht in einem FDP-Haushalt aufgewachsen. Aber ich denke, als Banker gehst du nicht unbedingt zur JUSO. Mein Vater war Lehrer, daher kam wohl auch weniger die SVP infrage. Es war also eher ein Ausschlussverfahren. In diesem Moment waren das die drei grossen Jungparteien. Damals waren Parteien wie die Junge CVP und die Grünliberalen noch relativ unbekannt. Heute gibt es viele gute Gründe, den Jungfreisinnigen beizutreten.

«Politiker haben lieber wenig Arbeit und viel Publicity.»

Bereits zwei Jahre nach deinem Beitritt wurdest Du Präsident der Jungfreisinnigen im Kanton Zürich. Wie bist Du so schnell an eine solche Position gekommen?

In der Politik hat viel damit zu tun, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Als ich beigetreten bin, gab es in meinem Heimatbezirk noch keine Bezirkspartei. Also habe ich diese gegründet und wurde Gründungspräsident. Dann merkte man auf kantonaler Ebene, dass da jemand ist, der sich engagiert und Freude an dem hat, was er macht. Per Zufall wurde dann gleich der Posten frei. Da war also sehr viel Glück mit dabei.

2016 wurdest Du Parteipräsident der Jungfreisinnigen Schweiz und gleichzeitig Vorstandsmitglied bei der FDP. Gelang es dir, die Anliegen der Jungen in die Mutterpartei zu bringen?

Absolut, ja. Deswegen wird man auch automatisch Teil des Vorstands. Es geht darum, dass man der Sprecher von den Jungen wird und deren Anliegen in die Mutterpartei trägt. Das habe ich oft gemacht. Teilweise erfolgreich, teilweise mit weniger Erfolg.

Über drei Jahre lang hattest Du das Amt des Parteipräsidenten inne. Was gehört da dazu?

Die Arbeit ist sehr vielfältig, eigentlich eine grüne Wiese, die man gestalten kann. Ein Teil davon war die Sicherstellung der Finanzierung. Mit unserem Budget habe ich dann zum Beispiel das Generalsekretariat professionalisiert und eine Generalsekretärin eingestellt. Dann hat man natürlich noch Aktionen und Kampagnen. Eine Jungpartei lebt vor allem von der Aufmerksamkeit, die sie erhält.  Mir war dabei nicht unbedingt wichtig, dass wir nicht jede Woche in den Medien waren, aber wenn wir eine Kampagne veranstaltet haben, dann mit Vollgas.

«Teilweise habe ich das Gefühl, es gibt ältere Menschen, die sehr jung denken, und jüngere, die sehr alt denken.»

Das war ein Grossteil der Arbeit. Kampagnen gestalten, die Finanzierung sicherstellen und Leute mobilisieren. Nebenbei hat man natürlich noch das ganze Vereinswesen. Also Vorstandssitzungen, Delegiertenversammlungen und Parolenfassungen. Dabei gibt es intern immer wieder verschiedene politische Strömungen. Ich habe versucht, dafür zu sorgen, dass sich die Minderheiten nicht ausgeschlossen fühlen und die Partei nah beisammen gehalten werden kann.

Wie viel Zeit beansprucht so ein Parteipräsidium überhaupt?

Schwierig zu sagen. Ich schätze etwa vier Stunden pro Tag. Das allerdings an jedem Wochentag, also auch Samstag und Sonntag. Selbstverständlich macht man das bei uns ohne Entschädigung.

«Andere haben vielleicht ausgeschlafen an diesem Morgen und ich ging dann halt an die Versammlung der FDP, bevor die Party losging.»

Nebenbei hast Du dein Master-Studium in Global Finance absolviert und gemeinsam mit drei Freunden das Gastrounternehmen Kaisin gegründet. Wie kriegt man das alles unter einen Hut?

Man sollte seine Zeit einfach gut einteilen. Ich habe ein Online-Studium absolviert. Da habe ich dann zum Beispiel morgens während des Fitnesstrainings auf dem Laufband die Vorlesungen geschaut. Man muss seinen Weg finden, in den 24 Stunden so gut wie möglich alles zu erledigen. Aber es gibt einem die Zuversicht zu wissen, dass jeder Mensch der Welt nur 24 Stunden am Tag zur Verfügung hat.

Hattest Du überhaupt noch Zeit, ein normales Privatleben, wie es die meisten in deinem Alter führen, zu leben?

Also ich glaube, wenn Du meine Freunde fragst, war ich bei vielen Dingen dabei, die man in diesem Alter so macht. Das darf man zwar fast nicht sagen, aber ich bin einmal direkt nach einer Delegiertenversammlung der FDP an den Flughafen gefahren und mit meinen Freunden nach Wien geflogen, um auszugehen. Einmal gab es nach einer Delegiertenversammlung auch eine grosse Home-Party bei mir zu Hause. Dann überlege ich mir: Ja, andere haben vielleicht ausgeschlafen an diesem Morgen und ich ging dann halt an die Versammlung der FDP, bevor die Party losging. Ich konnte also schon noch sehr viel nebenbei machen. Ich habe den Tag einfach immer voll ausgenutzt.

Letztes Jahr wurdest Du in den Nationalrat gewählt und bist da das jüngste Ratsmitglied. Insgesamt gibt es fünf Nationalräte unter 30 Jahren. Bräuchte es mehr?

Teilweise habe ich das Gefühl, es gibt ältere Menschen, die sehr jung denken, und jüngere, die sehr alt denken. Insgesamt wäre es sicher wünschenswert, wenn unsere Gesellschaft so gut wie möglich im Rat repräsentiert wird. Es gibt jetzt mehr Frauen, was dringend notwendig war. Natürlich wäre es auch schön, wenn wir mehr Junge hätten. Aber ich finde, es ist vor allem wichtig, dass genügend Leute mit jungem Gedankengut im Nationalrat sind. Das ist nicht zwingend korrelierend mit dem Alter.

Du warst ja bereits bei der FDP ein Vertreter der Jungen. Siehst Du dich im Nationalrat immer noch als solcher oder rückt die Jungpartei immer weiter in den Hintergrund?

Ich bin im Nationalrat ständig in Sitzungen mit Personen, die doppelt so alt sind wie ich. Das färbt schon ab. Auch bin ich, was das Denken betrifft, mit 26 schon weit entfernt von den 16-Jährigen. Aber ich glaube, da kann man auch etwas dagegen unternehmen. Ich beginne jetzt zum Beispiel mit TikTok. Ich versuche herauszuspüren, was die Jungen interessiert und versuche eine Brücke zu Ihnen zu schlagen. Wichtig ist nämlich auch, die Kommunikation mit Ihnen und zu erklären, was und wieso wir im Nationalrat etwas entschieden haben. In dieser Vermittlerrolle sehe ich auch eine wichtige Aufgabe für mich.

Hast Du im Nationalrat manchmal das Gefühl, von älteren Kollegen nicht ernst genommen zu werden?

Nein. Da ich vorher schon viel für die Jungpartei gemacht habe, hat man mich schon gekannt. Das hilft natürlich.

Wie kann man sich die Arbeit von einem Nationalrat vorstellen?

Das, was man am meisten wahrnimmt, sind die Sessionen. Da ist man von Montag bis Donnerstag im Bundeshaus und den ganzen Tag damit beschäftigt, Gesetze durchzuberaten. Je nach Kommission, in der man sitzt, ist man aber nur ein Tag wirklich engagiert. Nebenbei gibt es Kommissionssitzungen, die etwa anderthalb Tage pro Monat und Kommission beanspruchen. Momentan bin ich in zwei Kommissionen. Für diese Sitzungen ist man in Bern und bespricht die verschiedenen Themen der entsprechenden Kommission. Als Beispiel das Tabakgesetz. Man hat dann eine Stunde lang Zeit, um das Gesetz mit Experten und den anderen Kommissionsmitgliedern zu besprechen. Nach einer Stunde kommt das nächste Thema und die nächsten Experten. Das ist sehr intensiv. Abgesehen davon ist man natürlich viel unterwegs. Zum Beispiel an Parteiveranstaltungen oder Podiumsdiskussionen.

Session
Als Session wird der Zeitraum bezeichnet, in dem das Parlament für Beratungen zusammentritt. Die ordentlichen Sessionen finden viermal pro Jahr während drei Wochen statt.

Musst Du dich oft mit Themen beschäftigen, die dich eigentlich gar nicht interessieren?

Gerade am Anfang, wenn man in neue Kommissionen kommt, muss man schon Freude an einigen Themen finden. Aber ich denke, das ist reine Kopfsache. Mittlerweile interessieren mich auch viele Themen, die mich vorher nie interessiert haben. Man muss sich halt einfach reinhängen und das Beste daraus machen.

Kommission
Kommissionen sind Ausschüsse des Parlaments, die aus einer begrenzten Anzahl von Ratsmitgliedern bestehen. Sie haben grundsätzlich die Aufgabe, die ihnen zugewiesenen Geschäfte vorzuberaten. Darüber hinaus verfolgen sie die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in ihrem Zuständigkeitsbereich und arbeiten Vorschläge aus.

Hast du ein Beispiel?

Die Geschäftsprüfungskommission, in der ich jetzt bin. Das ist die Aufsicht des Bundesrats. Wir machen keine Gesetze, sondern schauen nur, ob die Arbeit des Bundesrats der gesetzlichen Grundlage entspricht und zweckmässig ist. Das ist viel Arbeit, in der man die Freude zuerst finden muss. Zudem ist das alles streng vertraulich. Also ich kann danach nicht mit meiner Arbeit Publicity machen. Das fällt den Politikern immer schwer. Sie haben lieber wenig Arbeit und viel Publicity (lacht).

Vermisst du im Nationalrat teilweise Dinge aus deinem Präsidium bei den Jungfreisinnigen?

Als Parteipräsident hast du einen riesigen Laden hinter dir, der viel Power hat. Als Nationalrat bist du zwar Teile einer Fraktion, aber auch eine Einzelmaske. Du hast keine Organisation mit so viel Power in deinem Rücken, sondern suchst ständig nach neuen Allianzen.

Hast du dir bereits weitere politische Ziele gesteckt?

Ich will 2023 sicher noch einmal als Nationalrat antreten. Alles darüber hinaus plane ich nicht.

Andri Silberschmidt wurde am 26. Februar 1994 in Zürich geboren und ist im Zürcher Oberland aufgewachsen. Nach seiner Schulzeit absolvierte er eine kaufmännische Lehre auf einer Bank. Nach Abschluss seiner Berufslehre studierte er Betriebswirtschaft und absolvierte einen Master in «Global Finance». Von 2016–2019 war er Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz. 2019 wurde Silberschmidt für die FDP im Kanton Zürich in den Nationalrat gewählt.

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