Weniger ist manchmal mehr

  • 9. November 2020
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Social Media und Webapps
Es ist keine Herausforderung, sich in den Scheinrealitäten des Internets zu verlieren. (Foto: Gerd Altmann/ Pixabay)

Aus Konsumentensicht sollte Werbung eigentlich als Orientierung dienen, indem sie der Wahrheit entsprechend informiert und die Vorteile eines Produkts präsentiert. Aufgrund der stetig wachsenden Konkurrenz wird Letzteres für Unternehmen aber zunehmend wichtiger. Der ständige Kampf um die Aufmerksamkeit potenzieller Kundschaft bietet jedoch für niemanden etwas Positives.

Produktwerbung begegnet uns fast immer, fast überall. Zwar sollte sie eine Entscheidungshilfe für Kunden sein, macht es durch ihre enorme Vielfalt aber nicht wirklich einfach, sich nicht in der scheinbaren Unendlichkeit der Auswahl zu verlieren. Dabei möchte es uns die moderne Werbung eigentlich ganz leicht machen: Denn ihr genügt es bereits, wenn sie unsere Aufmerksamkeit hat.

Um diese zu erlangen, wollen die Werbenden natürlich sicherstellen, dass sich die Konsument*innen für die angebotenen Inhalte interessieren. Deswegen gibt es mittlerweile kaum noch Bedürfnisse, die nicht bereits in Produkten oder Dienstleistungen aufgegriffen und deren Erfüllung uns in der Werbung versprochen wurde.

Mich stört dabei besonders die Art, mit der unsere Interessen für die Erzielung höherer Aufmerksamkeit ausgespäht werden. Auch das derzeitige Ausmass der Emotionalisierung von Marken und Produkten finde ich extrem bedenklich. Nicht selten werden durch gezielte Marketingstrategien Scheinrealitäten kreiert sowie Nachteile kaschiert. Zudem ist es oft schwer auseinanderzuhalten, bei welchen Bedürfnissen es sich wirklich um echte, eigene Wünsche handelt und welche uns als Konsumbedürfnisse eingetrichtert wurden.

Auf die Gefühle kommt es an

Aus Unternehmersicht soll Werbung ein gewisses Gefühl, einen bestimmten Gedanken oder im Idealfall eine spezifische Handlung bei Rezipient*innen anregen. Um solche Impulse auszulösen, kommt sowohl die gezielte (und bewusste) wie auch die indirekte (und unbewusste) Beeinflussung der Wahrnehmung zum Einsatz. Dabei werden durch die sogenannte emotionale Suggestion und informellen Botschaften bewusste wie auch unbewusste Bedürfnisse angesprochen – oder eben neue erzeugt.

In den Anfängen der klassischen Werbung war der Fokus der Gesellschaft die neusten Trends vorzuleben und sie von der gewinnbringenden Produktleistung zu überzeugen. Letzteres ist auch heute noch so. Jedoch werden nun bestehende Trends der Gesellschaft genutzt und speziell mit den beworbenen Produkten verbunden. Mittlerweile ist es weniger wichtig, einen informativen Eindruck zu hinterlassen – es geht vor allem um den bleibenden Eindruck.

Deshalb spielt besonders die Emotionalisierung der Waren eine grosse Rolle. Die Branche weiss, dass Werbung am besten in Erinnerung bleibt, wenn Gefühle berührt werden: Denn ob man es mag oder nicht – den Namen des Produktes kennt man nach so einem Werbekontakt meist trotzdem. Durch die Spiegelneuronen erhalten wir aufgrund der emotionalen Verknüpfung das Gefühl, wir würden das Gesehene selbst erleben. Dadurch kann unser Gehirn den Eindruck deutlich besser speichern.

Die Omnipräsenz in unserer Konsumgesellschaft

Dazu gibt es beispielsweise Werbungen, die mit dem Produkt begeistern und positive Empfindungen auslösen wollen. Andere Varianten drohen uns hingegen mit dem Durchleben negativer Gefühle, falls dem vorgegebenen Impuls nicht folgt. Diese Assoziationen treten in unserem Unterbewusstsein so schnell auf, dass wir keinen Einfluss darauf haben.

Um diesen Ablauf zu gewährleisten, wird in der Werbung hauptsächlich mit Symbolen und Bildern gearbeitet, die weitgehend bekannt sind. Aus diesem Grund kommen auch am häufigsten Familien, Kinder und Hunde vor – denn Untersuchungen zufolge können sich die meisten Menschen mit diesen Themen identifizieren.

Durch die Digitalisierung wurden nicht nur die Gestaltungsmöglichkeiten für die Werbung grösser, auch die Verbreitungsmöglichkeiten sind weitaus vielfältiger. Dass Werbung deshalb mittlerweile praktisch allgegenwärtig ist, sehe ich jedoch nicht als Vorteil. Weder für Unternehmen, noch für Konsument*innen.

Wenn ich mir nämlich die neuen LCD-Screens in den Bahnhofshallen anschaue, bin ich der Meinung, dass diese Konftrontation echt zu weit geht. Kein Mensch ist doch in der Lage, all diese Einflüsse rational zu kategorisieren. Deshalb blende ich sie am liebsten direkt aus. Denn durch diese Überpräsenz wird die Werbung für mich bedeutungslos.

Trotzdem hat diese Werbedauerschleife einen Effekt auf mich, wenn auch unbewusst: So bin ich manchmal enttäuscht, wenn ich ein neu entdecktes Produkt kaufen möchte, es aber ausverkauft ist. Nicht, weil ich es wirklich brauchen würde – es geht mehr darum, dass ich es einfach haben will. Einfach weil es mir gefällt. Dabei bin ich eigentlich der Meinung, dass eine regelmässige Erfüllung solcher Bedürfnisses in der heutigen Zeit unnötiger Luxus ist: Denn gegenüber Menschen, denen es an Wichtigerem fehlt, ist es komplett unfair.

Keine Zeit für die reale Welt

Was mir manchmal hilft, um mich von der Auseinandersetzung mit solchen Problemen zu distanzieren, ist die gelegentliche Zeitverschwendung in der Scheinwelt der sozialen Medien. Dabei will ich oft eigentlich nur schnell die Zeit auf dem Smartphone nachsehen – hänge dann aber stundenlang im Internet fest und vergesse die Zeit total.

Ursachen dafür gibt es einige, die offensichtlichste: Auch online lauert Werbung und auch hier kämpft sie mit allen Mitteln um die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen. Besonders umstritten sind dabei die Formen der personalisierten Produktanzeigen sowie die (bezahlten) Empfehlungen von Influencern.

Diese aufdringlichen Reize wirken dabei viel einnehmender, als ich will oder bewusst entscheiden kann. Dafür sorgen spezielle Algorithmen, welche möglichst lange die Aufmerksamkeit der Besucher halten möchten. (Meines Erachtens eine besonders beängstigende und manipulative Strategie.) Ob soziale Plattformen wie Facebook oder Instagram eher Chancen oder Gefahren bergen, wird häufig diskutiert. Zu den Schattenseiten gehören Fälle, bei denen Influencer  an der Aufrechterhaltung dieser alternativen Online-Welt zerbrochen sind.

Die Veränderung bedingt durch die zunehmende Wichtigkeit digitaler Werbung fällt mir zudem besonders bei YouTube auf: Was zu Beginn eine Ansammlung kreativer Videokünstler war, ist heute eher eine Plattform von angesammelter Werbung – die hin und wieder von kreativen Leuten unterbrochen wird. Dabei habe ich weder mich selbst noch irgendjemand anderes erlebt, der diese unausweichliche Bedrängung von Werbung je mit offenen Armen empfangen hat.

Worüber sich auch nur wenige freuen, ist das eifrige Sammeln persönlicher Daten: Dabei werden Suchbegriffe gespeichert und Gespräche über mobile Geräten abgehört, um uns passende Produkte vorzuschlagen. Als ziemlich unheimlich ist mir in Erinnerung geblieben, dass mir bei Netflix plötzlich eine Serie angezeigt wurde, die mir nur einige Stunden zuvor empfohlen worden war. Dabei handelte es sich allerdings um einen Account, bei dem ich mich immer als Gast und ohne Eingabe eigener Daten angemeldet hatte.

Wenn nichts mehr beschönigt werden muss

Ebenfalls kritisch im Bezug auf den Umgang mit persönlichen Daten betrachte ich die visuelle Darstellung der Ablehnung beziehungsweise der Zustimmung von Cookie-Einstellungen: Bei den meisten Ansichten ist eine einfache Ablehnung kaum zu bewerkstelligen. Damit wird offensichtlich ausgenutzt, dass es Smartphoneusern oft kaum schnell genug gehen kann und deshalb nur zugestimmt wird, weil das Gegenteil zu kompliziert erscheint. Eine gleichwertige Auswahlmöglichkeit zweier Optionen sieht für mich definitiv anders aus.

Eigentlich könnten die digitalen Möglichkeiten und auch personalisierte Werbung nützlich sein. Allerdings finde ich die aktuelle Umsetzung ziemlich zweifelhaft und durch die spezifische Datensammlung besteht auch immer die Gefahr, dass User (unbeabsichtigt) in einer eigenen Filterblase feststecken. Auch mangelt es aus meiner Sicht noch zu sehr an Klarheit und Transparenz bezüglich der Methoden und Absichten.

Weitere Probleme beziehen sich auf die Art und Verbreitung von Werbung allgemein: Sie ist mir in ihrer Allgegenwärtigkeit zu aufdringlich und durch die gezielte Emotionalisierung zu manipulativ. Meiner Meinung nach sollten andere Dinge im Vordergrund stehen, um über Produkte zu informieren beziehungsweise für sie zu werben. Manchmal ist weniger eben wirklich mehr: Schliesslich gibt es keine bessere Werbung als ein Produkt, das hält, was es verspricht.

Natürlich sollten sich Unternehmen ihrer Verantwortung bewusst sein und entsprechend ohne Täuschungsabsichten oder manipulative Ansätze agieren. Zudem liegt es auch an der Politik, den entsprechenden Rahmen für eine ausgewogene Balance zwischen Konsumentenschutz und unternehmerischer Freiheit zu liefern. Dennoch wäre es falsch, sich als Konsument*in allein darauf zu verlassen. Kritisches Hinterfragen und eine achtsame Haltung sind eben durch nichts zu ersetzen: Denn als Gesellschaft tragen wir alle eine Verantwortung und haben immer die Chance, unser Handeln zu ändern. 

Autor*in

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