Keine romantische Liebe

  • 30. November 2020
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Eine Person sitzt mit einer Pride Flagge auf einer Treppe: Man sieht nur die Beine.
Als «aromantisch» identifizieren sich Personen, die keine romantische Beziehung möchten. (Foto: Corina Mühle)

Personen, die sich als aromantisch identifizieren, verlieben sich nicht. Eine romantische Beziehung zu führen, ist ihnen fremd. Doch gefühllos sind sie nicht.

Bachelorette, Prince Charming, Bauer ledig sucht – Kuppelshows sind beliebt. Doch nicht alle suchen die grosse Liebe. Personen, die sich als aromantisch identifizieren, haben kein Bedürfnis und auch kein Interesse an einer romantischen Liebesbeziehung im klassischen Sinne. Aromantische Personen gehören zur LGBTQ+ -Community und sind das «Gegenstück» zur sogenannten Asexualität. 

Liebe und Sex werden ganz klar getrennt. Man spricht vom «Split Attraction Model» (SAM). Dieses beschreibt, dass die sexuelle und romantische Anziehung zwei verschiedene Sachen sind. Sprich: Eine Person kann romantische, aber keine sexuelle Anziehung empfinden und umgekehrt. 

Doch wie wird die romantische Anziehung überhaupt definiert? Dora Simunovic ist Doktorandin in Sozialwissenschaften an der Universität Bremen. Sie beschreibt die romantische Anziehungskraft wie folgt: «Die romantische Anziehung ist ein komplexer Mix aus Gefühlen, dem Glauben und die Hoffnung zu einer anderen Person oder Personen verbunden zu sein.» 

20 Millionen Aromantiker*innen

Eine Studie, welche sich lediglich um aromantische Personen dreht, gibt es keine. Asexualität hingegen wurde bereits untersucht, auch in Verbindung mit der Aromantik. Rund ein Prozent der Bevölkerung sei asexuell. «Aus dieser Studie von 2004 geht hervor, dass rund ein viertel aller asexuellen Personen auch aromantisch sind. Da liegt die Vermutung nahe, dass 0.25 Prozent der Bevölkerung aromantisch ist», sagt Simunovic. Statistisch gesehen, versteht sich. Knapp 20 Millionen Personen weltweit also. Das entspricht etwa der Einwohnerzahl Mumbais. Leichter vorstellbar: 1’080 Personen in der Stadt Zürich.

In Zweierreihen sind untereinander 9.1 Zürcher Trams aufgestapelt
Mit 1’080 Personen können circa 9.1 Zürcher Trams gefüllt werden. (Illustration: Corina Mühle)

Individualistische und kollektive Kulturen

In Europa werden Individuen grösstenteils akzeptiert. «Die westliche Gesellschaft fördert die Bedürfnisse von Individuen und üben weniger Druck auf junge Leute aus, in einer monogamen Langzeitbeziehung zu leben», sagt Simunovic. Ausserhalb von Westeuropa und Nordamerika sieht das meist anders aus. Die intime Beziehung zweier Personen wird oft von aussen beeinflusst. «So muss eine aromantische Person in Deutschland die eigene Ausrichtung nur einem potenziellen Partner*in erklären, in Bangladesch aber müsste sich die aromantische Person der ganzen Familie gegenüber erklären», sagt Simunovic. 

In kollektiven Kulturen, wie zum Beispiel in Indien, erleben junge Menschen oft hohen Druck von älteren Familienmitgliedern, ein*e geeignete*r Partner*in zu heiraten. Es sei jedoch schwierig genaue Angaben zu aromantischen Personen ausserhalb der westlichen Kultur zu machen, da es keine Informationen dazu gäbe. 

Gefühle vs. Sex

Gefühle hat Janis – allerdings keine romantischen. In romantischen Situationen fühlt er sich unwohl, eine Beziehung möchte er keine. Als Person, die sich als aromantisch identifiziert, interessiert ihn Sex, Liebe aber lässt er aus dem Spiel. Im Videoportrait mit Vierseitig erzählt Janis wie er zu seiner Identität gefunden hat.

Fiona ist asexuell, mit Sex kann sie nichts anfangen. «Für mich klingt Sex nach sehr viel Arbeit und Risiko für wenig Reward», sagt Fiona. Für sie ist es Fremd, dass sich in der Gesellschaft alles um Sex dreht; Werbung ist übersexualisiert, Medien hochsexualisiert. «Es hängt mir zum Hals raus», sagt Fiona dazu nur. «Wieso muss ich mit jemandem Sex haben um ihm/ihr zu zeigen, dass ich ihn/sie gerne habe? Romantik und Sex sind so sehr miteinander verknüpft.» Fiona musste sich sehr mit sich selbst auseinandersetzen. «Unterdessen fühle ich mich sehr wohl in meinem Körper und das funktioniert auch, solange andere ihre Finger nicht reinheben», sagt die 20-Jährige.

«Klar bin ich auch neugierig wo meine Grenzen sind und wie weit ich gehen würde. Kuscheln zum Beispiel finde ich okay. Meine Asexualität ist aber nichts, das wie der Mond vergehen kann.»

Wie Fiona denn Romantik definiert? «Für mich ist Romantik ein «Ort», wo man intim sein kann, ohne verletzt zu werden.»

Nicht gefühllos

«Wenn Leute zum ersten Mal von der Aromantik hören, führt das meistens dazu, dass sie ihre Vorstellungen über die romantische und sexuelle Liebe in Frage stellen. Das kann eine sehr unangenehme Erfahrung sein, also lehnen sie das ganze «Konzept» ab», sagt Simunovic. «Ich habe noch niemanden gesehen, der/die behauptet hat, dass die Aromantik zum Kollaps der Gesellschaft führt, wo sie es manche Menschen über die Transsexualität behaupten. Wenn die Aromantik aber immer bekannter wird, bin ich mir sicher, dass auch diese Behauptungen, die natürlich totaler Schwachsinn sind, kommen werden.»

Es sei hier ebenfalls wichtig zu erwähnen, dass aromantische Personen keine gefühlslosen Menschen sind. «Sie empfinden Gefühle genauso wie alle anderen. Liebe empfinden sie ebenfalls, einfach auf eine platonische Art und Weise», sagt Simunovic.

Microlabels

Aromantik ist, wie queer, auch ein Überbegriff, ein sogenannter «Umbrella term». Darunter verbergen sich viele weitere Labels. Hier eine Übersicht über verschiedene Begriffe und Labels im aromantischen Spektrum:

Romantische Orientierung: Die romantische Orientierung ist ein Überbegriff, der die romantische Anziehung oder deren Abwesenheit beschreibt. 

Romantische Anziehung: Interesse oder Wunsch nach romantischem Kontakt oder Interaktion mit einer bestimmten Person. Diese Art der Anziehung geht oft mit starken Gefühlen einher.

Aromantisch (aro): Eine aromantische Person verspürt gegenüber anderen Personen keine romantische Anziehungskraft.

Aromantisches Spektrum (arospec): Das aromantische Spektrum ist ein Überbegriff für alle aromantischen Ausrichtungen. 

Alloromantic: Personen, die sich als alloromantisch identifizieren erfahren romantische Anziehungskraft, sprich sind nicht aromantisch.

Allo aro (Allosexuell und aromantisch): Eine aromantische Person, die gegenüber Sex nicht abgeneigt ist. 

Aroace: Als aroace identifizieren sich Personen, die sowohl aromantisch als auch asexuell sind.

Arophobia: Arophobia bezeichnet die Abneigung oder auch Vorurteile gegen aromantische Personen. 

Queerplatonic Relationship: Eine verpflichtende queerplatonische Beziehung ist eine nicht-romantische Beziehung zwischen zwei Personen. Diese Beziehung geht allerdings weiter, als der Begriff «Freundschaft» von der Gesellschaft verstanden wird. Intimität und allgemein das intime Verhalten entsprechen nicht den Standards von einer freundschaftlichen Beziehung.

Soft romo: Dieser Begriff bezeichnet eine Beziehung, die irgendwo zwischen Aromantik und einer Queerplatonischen ist. 

Lithromantic: Diese Person erfährt romantische Anziehung, hat aber kein Interesse, dass diese von der anderen Person retourniert wird.

Greyromantic: Ein Überbegriff, der alle Arten aromantischen Ausrichtungen beinhaltet.

Demiromantic: Eine Person, die sich als demiromantic identifiziert kann sich nur dann in eine andere Person verlieben, wenn bereits eine starke Bindung zu dieser Person besteht.

Wtfromantic / Quoiromantic: Wtfromantic wird so definiert, dass Personen sich unsicher ihrer aromantischen Identifikation sind oder auch nicht verstehen, was romantische Gefühle sind. Es ist das Gefühl, dass keine romantische Ausrichtung auf einem zutrifft.

Nonamorous / Nonpartnering: Nonamorous beschreibt eine Person, die sich bewusst dazu entscheidet, keine Beziehung mit anderen Personen einzugehen.

Relationship Anarchy: Der Glaube, dass keine Beziehung besser ist wie die andere, auch wenn manche Beziehungen in der Gesellschaft höher anerkannt werden.

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