Glossar
Damit dieser Text problemlos verstanden werden kann, wurden Begriffe, die für Unklarheiten sorgen können, hier erklärt.
Cybergrooming: Cybergrooming bezeichnet das Phänomen, dass Erwachsene online den Kontakt zu einem Kind herstellen, um einen sexuellen Missbrauch vorzubereiten.
Sharenting: Das Verhalten von Eltern, welche Informationen, Bilder und weiteres von ihren Kindern auf Social Media teilen. Der Begriff «Sharenting» ist eine Wortkreation aus sharing (dt. teilen) und parenting (dt. Elternschaft). Der Begriff ist negativ behaftet und wird meist im Kontext verwendet, dass Eltern zu viel preisgeben.
Offizialdelikt: Eine Straftat, die die Strafverfolgungsbehörde von Amts wegen verfolgen muss, wenn sie Kenntnis davon nehmen.
Antragsdelikt: eine Straftat, der grundsätzlich nur auf Antrag des Geschädigten von den Strafverfolgungsbehörden nachgegangen wird.
Algorithmus: Ganz allgemein ist ein Algorithmus eine Reihe von Anweisungen, die Schritt für Schritt ausgeführt werden, um ein Problem zu lösen oder eine Aufgabe zu bewältigen. Beispielsweise gibt es den Instagram-Algorithmus, der bestimmt, wann welche Personen, Hashtags, etc. in den Suchergebnissen und auf der Timeline angezeigt werden.
Bots: Unter einem Bot versteht man ein Computerprogramm, das weitgehend automatisch sich wiederholende Aufgaben abarbeitet, ohne dabei auf eine Interaktion mit einem menschlichen Benutzer angewiesen zu sein. Bei uns bedeutet das konkret: Roboter schicken Chatnachrichten an eine Gruppe von Instagram-Nutzern.
Bereits jede*r dritte Jugendliche in der Schweiz wurde übers Netz von Erwachsenen mit sexuellen Absichten kontaktiert. Die Redaktion hat sich mit Fakten, Zahlen und weiterem bezüglich dieses Themas befasst.
Ein Experiment; Drei Volljährige Frauen geben sich im Internet als 12-jährige Mädchen aus. Für zehn Tage versetzen sie sich in das typische Online-Leben Jugendlicher und bewegen sich auf fünf verschiedenen Plattformen. Ziel des Versuches ist es, herauszufinden, wie oft Minderjährige von Erwachsenen auf der ganzen Welt angeschrieben werden. In den knapp eineinhalb Wochen melden sich rund 2’500 Männer bei den Mädchen. Die Absicht dieser ist klar: das Aufgeilen an Minderjährigen; der Missbrauch via Onlinechat.
Der tschechische Dokumentarfilm «Caught in the Net» (Kinostart in der Deutschweiz: 19. November 2020) zeigt schockierendes: Cybergrooming existiert, und es passiert – oft.
Die Zahlen in der Schweiz
Die Faszination für mobile Geräte beginnt bereits im Kleinkindalter. Viele Eltern erlauben ihren Kindern bald, Tablet oder Smartphone zu nutzen. Das Interesse, ein eigenes Gerät zu besitzen, wird schon früh geweckt. Dies zeigt sich auch dadurch, dass 97% der Haushalte mit Jugendlichen einen Computer oder Laptop mit Internetzugang besitzen.
Über 80% der Jugendlichen in der Schweiz sind bei Instagram angemeldet – im Durchschnitt besitzen sie 531 Follower. Dass man von diesen hunderten Follower nicht jeden persönlich kennt, ist klar. Doch wer sind diese Fremden, die zwischen Freunden, Familie und Klassenkameraden verschwimmen, und wie gefährlich sind sie?
Nutzer*innen können durch Personen, denen sie folgen, durch Hashtags und Schlagwörter, die sie verwenden, durch Bilder, die sie kommentieren, schnell durchleuchtet werden. Dies machen sich einige zum Vorteil. Zum Beispiel Bots, die durch einen Algorithmus auf Profile stossen, oder Fremde, die nur ihre Reichweite erweitern wollen. Diese Gruppen sind zwar lästig, aber verhältnismässig harmlos.
INFO
Social Bots sind Bots, also Softwareroboter bzw. -agenten, die in sozialen Medien vorkommen. Sie liken, teilen, texten und kommentieren, können also natürlichsprachliche Fähigkeiten haben. Sie können auch als Chatbots fungieren und damit mit Benutzern synchron kommunizieren oder diese zu grossen Gruppenchats hinzufügen. Social Bots werden zur Sichtbarmachung und Verstärkung von Aussagen und Meinungen eingesetzt. Dabei können sie werbenden Charakter besitzen bzw. politische Wirkung entfalten.
Dann gibt es aber User, die aus der unbedenklichen Masse der Fremden herausstechen. Sie fragen gezielt Mädchen oder Jungen an, kontaktieren sie und führen vorerst belanglose Konversationen mit den Minderjährigen. Subtil wird Druck aufgebaut. Sobald das Vertrauen gefasst, oder in einigen Fällen sogar eine Abhängigkeit entstanden ist, wird mehr verlangt. Ein Foto in Unterwäsche oder ganz nackt, eine Sprachnachricht, in der das Kind stöhnen soll, oder aber, ob man bereit wäre, sich ein Nacktfoto des Gegenübers anzuschauen. Letzteres wird meistens sowieso versendet, ganz gleich, wie die Antwort des Opfers ausfällt.
Rechtslage in der Schweiz
In der Schweiz werden solche Delikte, falls es zu einer Anzeige kommt, nach dem StGB (Schweizerisches Strafgesetzbuch) und der StPO (Strafprozessordnung) geahndet. «Das StGB legt in einem ersten Schritt fest, welche Straftaten verfolgt werden und in welchen Fällen die Schweiz überhaupt über eine Gerichtsbarkeit verfügt. Die StPO regelt in einem zweiten Schritt, wenn eine Schweizer Gerichtsbarkeit gemäss StGB besteht, die sachliche (Bund oder Kanton), sowie die örtliche Zuständigkeit (welcher Kanton) innerhalb der Schweiz», erklärt Staatsanwältin Dr. iur. Sandra Muggli, spezialisiert auf Cybercrime, im Interview. Die Zuständigkeit der Behörde richte sich nach dem Täter, bzw. nach dem Ort, an dem dieser handelt. Subsidiär werde der Erfolgsort herangezogen, welcher sich daran bestimmt, wo das Opfer geschädigt wurde.
INFO
In der Schweiz ist Cybergrooming ein Antragsdelikt, heisst, das Opfer muss Anzeige erstatten, damit der Täter zur Rechenschaft gezogen wird. Ein Offizialdelikt wird es erst, wenn die Täter explizite Bilder an Kinder und Jugendliche senden, oder diese gar zu sexuellen Handlungen verleiten.
Bei solchen Online Delikten kommt es jedoch auch häufig vor, dass sich Täter und Opfer nicht im selben Land – oder gar Kontinent – aufhalten. Bernhard Graser, Stellvertretender Dienstchef Abteilung Kommunikation der Kantonspolizei Aargau teilt uns mit, dass die internationale polizeiliche Zusammenarbeit mehrheitlich gut funktioniere: «Wie auch bei anderen Kriminalitätsformen müssen die beteiligten Staatsanwaltschaften den Gerichtsstand klären und festlegen. Zur Anwendung kommt jeweils das Strafrecht des jeweiligen Landes. Darin ist auch begründet, weshalb eine Handlung juristisch unterschiedlich ausgelegt werden kann, ja möglicherweise gar nicht in jedem Land auf gleiche Weise strafbar ist.»
Gemäss dem Bundesamt für Polizei fedpol sollen oben geschilderte Fälle an die kantonalen Strafverfolgungsbehörden des eigenen Wohnorts gemeldet werden.
Obwohl bereits jede und jeder dritte Jugendliche in der Schweiz mit Cybergrooming konfrontiert wurde, kommt es bei der Zürcher Staatsanwaltschaft laut Bericht von Top Online nur zu rund 50 Anzeigen jährlich. Die Dunkelziffer erklärt sich Dr. Muggli folgendermassen: «Es ist davon auszugehen, dass Kinder das [die Tat] nicht richtig einschätzen können und den missbräuchlichen Charakter oft nicht erkennen. Sie denken, sie hätten selber Schuld an der Situation und schämen sich dafür. Ausserdem haben sie nicht immer eine geeignete Ansprechperson, an die sie sich wenden könnten.»
Sharenting und seine Folgen
Doch nicht nur das mediale Verhalten der Jugendlichen bringt Gefahren mit sich, sondern auch jenes der Eltern, denn Sharenting ist ein grosser Teil vieler Familien geworden. Sharenting beschreibt das Teilen von Informationen und Fotos eigener Kinder auf den Sozialen Medien seitens der Eltern.
Sei es das spaghettiverdreckte Gesicht des Sohnes, oder aber der Erfolg der kleinen Tochter, die es endlich geschafft hat, den Baum hoch zu klettern – alles wird geteilt. Denn was könnte einfacher sein, als ein Foto davon zu knipsen und dieses dort hochzuladen, wo es alle Freunde und Familienmitglieder, Bekannte und Fremde sehen können?
INFO
Gemäss den AGBs von Facebook und Instagram ist das Mindestalter der Nutzer auf 13 Jahre festgelegt. Bereits 80% der zweijährigen in westlichen Ländern haben durch Sharenting einen digitalen Fussabdruck.
Das Problem dieses Phänomens ist vielen nicht bewusst: Diese grundsätzlich harmlosen Bilder der Kinder können missbraucht und in einen unschönen Zusammenhang gebracht werden. Es gibt immer mehr Pädophilen-Foren, die genau solche Bilder speichern, verschicken, teilweise auch (ins pornographische) verändern und auf ihren Foren veröffentlichen.
Auch auf Sozialen Medien wie Instagram gibt es vermehrt private, als auch öffentliche Profile, die genau solche «unschuldigen» Fotos teilen. Was Follower solcher Profile tun, während sie sich die Bilder ansehen, muss nicht ausgesprochen werden, wissen tun es alle. Trotzdem wird versucht, nicht darüber nachzudenken.
Schutzmassnahmen von Facebook und Instagram
Seit Mitte 2020 bietet Instagram den Nutzern die Meldefunktion «es ist ein Kind betroffen» an. Um diese Meldung auswählen zu können, muss konkret folgender Verlauf durchgeklickt werden:
[Melden → Unangemessene Inhalte → Nacktheit oder sexuelle Handlungen → es ist ein Kind betroffen].
Vorher konnte Instagram nicht darüber informiert werden, dass es sich auf dem gemeldeten Foto explizit um ein Kind handelt. Somit wurde das Sexualisieren von Erwachsenen und Kindern gleichgestellt. Durch diese weitere Funktion hat Instagram einen wichtigen Schritt getan, das Problem zu separieren und solche Bilder und Profile schneller aus dem Netz zu entfernen.
Trotzdem stösst die Redaktion in der Recherche immer wieder auf unzählige besagter Profile. Diese Problematik stellt eine Mammutaufgabe dar, da die Masse an Uploads unüberschaubar zu sein scheint. Schon 2016 wurden Durchschnittlich 95 Millionen Fotos pro Tag auf Instagram hochgeladen. Heute, vier Jahre später, liegt diese Zahl vermutlich im neunstelligen Bereich. Dem Beizufügen ist, dass die Plattformen sich mit ihren ausgedehnten AGB rechtlich so absichern, dass die Verantwortung dieser Inhalte bei den Nutzern bleibt.
Wie die Prävention von Übergriffen und die Zensur von missbräuchlich eingesetzten Bildern bei der Social Media Plattform gehandhabt wird, wollte die Redaktion direkt bei Facebook, der Muttergesellschaft von Instagram, herausfinden. Die Interviewanfrage wurde aufgrund von Zeitmangel jedoch abgelehnt.
Sicherheit schaffen im Netz
Doch wie kann man die Sicherheit für Kinder und Jugendliche im Netz erhöhen?
«Hierzu braucht es einschlägige präventive Kampagnen», so Dr. Muggli. «Als Ergänzung dieser Prävention muss durch regelmässige Präsenz der Strafverfolgungsbehörden im Netz immer wieder klar gezeigt werden, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist und dass die Täter mit einer strafrechtlichen Verfolgung rechnen müssen.» Ob die in der Schweiz vorhandenen Gesetzesartikel ausreichend sind, bejaht sie grundsätzlich. Einzig der Tatbestand der sexuellen Belästigung bei Kindern sollte ihrer Meinung nach vom Gesetzgeber von einem Antrags- in ein Offizialdelikt umgewandelt werden, um einen optimalen Jugendschutz zu gewährleisten.
Präventionskampagnen in der Schweiz
Jugend und Medien
Jugend und Medien ist die nationale Plattform des Bundesamts für Sozialversicherungen zur Förderung von Medienkompetenzen. Im Auftrag des Bundesrats verfolgt sie das Ziel, Kindern und Jugendlichen einen sicheren und verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien näherzubringen.
Pro Juventute
Auch Pro Juventute beschäftigt sich mit dieser Thematik und steht Eltern, Kinder und Jugendlichen mit Rat und Tat zur Seite. In verschiedenen Workshops und Kursen können sowohl Kinder und Jugendliche, als auch Erwachsene ihr Wissen rund um Medien aufbauen und erweitern. Ausserdem bieten sie Workshops an Schulen an.
147
Mit der Kampagne 147 bietet Pro Juventute eine Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, bei der man anonym um Hilfe bitten kann. Rund um die Uhr kann diese Stelle per Telefon, SMS oder Chat kontaktiert werden.
Auch Eltern können ihren Kindern helfen und sie in ihrem Medienverhalten begleiten. Wichtig dabei sei, dass man nicht über die Kinder bestimmt, sondern mit ihnen zusammenarbeite. «Kinder wollen nicht bevormundet, sondern begleitet werden», so die Medienpädagogin Dina Jost. «Unterstützen Sie Ihr Kind auf seinem Weg, doch nehmen Sie ihm dabei nicht das Zepter aus der Hand.»
Links für Kinder und Eltern
Jugend und Medien
Pro Juventute
Wir Eltern
Opferhilfe Schweiz
Tipps und Meldeformular der Stadt Zürich
Swisscom: Das erste Handy für mein Kind
“Medienkompetenz – Tipps zum sicheren Umgang mit digitalen Medien” von Jugend und Medien in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften