Name von Lena durch Redaktion geändert.
Lena ist lesbisch. Für ihre religiöse Gemeinschaft ist das eine Sünde. Thomas Graber, der Priester, versuchte Lena umzupolen. Gegensätzlicher könnten die Meinungen nicht sein.
«Homosexualität sollte sich mit der Religion vereinbaren lassen», findet Lena. Die 23-jährige Luzernerin wuchs in einer streng religiösen Familie auf. Ihre Eltern lernten sich in der St. Michael Gemeinschaft kennen. Seither gehörte der regelmässige Besuch der Kirche für Lena zur Tagesordnung. Bis vor drei Jahren. Seither war die Pflegefachfrau nicht mehr dort. Der Grund dafür ist ihre sexuelle Ausrichtung: Lena ist lesbisch.
Homosexualität ausleben
Thomas Graber wurde 1968 im sogenannten Gnadenort St. Michael in Dozwil im Kanton Thurgau zum Priester ernannt. An Wochenenden besuchen rund 2’000 Menschen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich den Gottesdienst. Die St. Michael Gemeinschaft lehnt Homosexualität strikt ab und sieht darin eine «Fehlleitung».
Ein zentraler Gedanke aus der Bibel lautet: «Gott liebt den Sünder (die Sünderin), doch er verabscheut die Sünde.» Trotz der extremen Haltung ihrer Gemeinschaft will Lena zu ihrer Sexualität stehen und outet sich in der Kirche. Thomas Graber meinte: «Gott liebt jeden Menschen, weil er sein Geschöpf ist und er ihn wieder bei sich im Himmel haben will. Doch er zwingt niemanden zu irgendetwas.»
Der Mensch soll in der Erkenntnis seiner selbst reifen und an sich arbeiten. Wie einer gesagt hat: «Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.» Er meinte zu Lena, es sei okay, dass sie homosexuell ist. «Meine Sexualität auszuleben sei aber eine Sünde», ergänzt sie.
Konversionstherapie für Lena
Thomas Graber habe versucht sie umzupolen bzw. zu therapieren. Er lud Lena in die Sakristei, einen Nebenraum in der Kirche, zu einem Gespräch ein. Noch ahnte sie nicht, was ihr bevorstand. «Er legte seine Hände auf meinen Kopf und erzählte irgendwas von Satan. Er solle aus meinem Körper und Herzen verschwinden. Denn Satan sei verantwortlich für meine Gefühle gegenüber Frauen.»
Thomas Graber ist überzeugt, dass jeder Mensch seine Triebe zurückhalten könne. Menschen, die sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen, sollen sich zuerst prüfen, ob dies durch Bewusstmachung der Situation und mittels therapeutischer oder seelsorgerischer Hilfe lösbar sei. Oft, so sagt er, ist dies wirklich heilbar.
«Wenn nicht, so haben wir einen Auftrag, diese Neigung nicht auszuleben, und gute Freunde zu haben, aber nicht in ein sexuelles Abenteuer abzugleiten, das der universellen Ordnung zuwiderläuft», erklärt er seine Ansicht.
Papst für Schutz von homosexuellen Partnerschaften
Die Katholische Kirche distanziert sich von der St. Michael und sieht in dieser Gemeinschaft eine Sekte. Papst Franziskus sprach sich für einen gesetzlichen Schutz der Lebensgemeinschaft von gleichgeschlechtlichen Paaren aus. Das sagte das 83-jährige katholische Kirchenoberhaupt in einem neuen Dokumentarfilm des russischen Regisseurs Jewgeni Afinejewski, wie die Nachrichtenagentur Ansa am 21.10.2020 schrieb.
Empörung
Lena ist da ganz anderer Meinung als Thomas Graber. In ihrem Glaubensverständnis liebt Gott auch homosexuelle Menschen. «Mich verletzen solche Worte. Ich ging sehr gerne in die Kirche, und hatte tolle Freunde dort. Es ist unglaublich schade, dass mich damalige enge Freunde nun mit anderen Augen betrachten. Als ich mich geoutet habe, distanzierten sie sich. Sie schauten mich anders an. So, als ob ich ein gefährlicher Virus wäre.»
Die St. Michael Gemeinschaft rechtfertigt ihren Umgang mit Homosexualität auf ihrer Homepage folgendermassen: «Was ist zu tun, wenn alle Gefühle und die Lust uns auf diesen falschen Weg ziehen? Dann sei unser Geist gefordert. Der Geist kann die Situation analysieren und Schlüsse ziehen.
Viele Menschen haben ein Opferleben. Denken wir an Gelähmte, an Krebskranke, Süchtige. Dürfen wir dem Alkoholiker seine Sucht zugestehen oder kommen dann er selbst und auch andere direkt oder indirekt zu Schaden?»
Die junge Frau empört diese Haltung: «Im Vergleich zu den Gelähmten, Krebskranken und Süchtigen bin ich glücklich und leide nicht. Ich sehe keinen Grund mich zu opfern und eine Lüge zu leben. Das widerspricht meinen Werten, immer mich selbst zu sein.»
Die Religion als wichtiger Bestandteil
Lena fühlte sich aufgrund verschiedener Gründe nicht willkommen. Angefangen beim Therapieversuch, gefolgt von abweisenden Blicken und der Tatsache, dass die Kirche bei Homosexualität von «Fehlleitungen» und «Sünden» spricht, die man keinesfalls ausleben darf. «Ich bin trotzdem noch religiös und glaube an Gott. Das Recht kann mir niemand nehmen, auch wenn ich Gefühle für Frauen habe.»
In diesem Punkt sind sich die selbsternannte Kirche und Lena einig. Auch die Gemeinschaft findet, man könne durchaus die Religion ausleben und gleichzeitig homosexuell sein. Doch: «Wir leben im ehrlichen Bestreben, die Sünde immer mehr und mehr zu meiden. Dies gilt für alle gleich!» Genau so sei beispielsweise auch die Atomkraft eine Schöpfung Gottes, doch der Mensch nutze sie nicht nur zum Guten, sondern viel mehr zum Schlechten.
Trotz all der negativen Ereignissen und Worten ist Lena ihrem Priester dankbar. Er habe ihr gezeigt, dass sie auch ohne die Kirche ein glückliches Leben führen könne. «Ob ich jemals in die Kirche zurückkehre, kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht sagen. Natürlich würde ich mich freuen, wenn sie sich positiver gegenüber Homosexuellen zeigt.» Solange dies aber nicht so sei, werde sie ihre Religion ausserhalb der Kirche ausleben.